G. Kreis: Zeitzeichen für die Ewigkeit

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Titel
Zeitzeichen für die Ewigkeit. 300 Jahre schweizerische Denkmaltopografie


Autor(en)
Kreis, Georg
Erschienen
Zürich 2008: NZZ Libro
Anzahl Seiten
539 S.
Preis
URL
von
Aram Mattioli, Historisches Seminar der Universität Luzern

Denkmäler sind Zeit- und Geschichtszeichen zugleich. Nur richtig gelesen verraten sie stets Einiges über die Mainstream-Werte ihrer Entstehungszeit. Denn in ihnen bündeln sich erinnernde Gegenwart, erinnerte Vergangenheit und geltende Normen. Diese Gemengelage prädestiniert sie geradezu für kulturhistorische Analysen politischer Systeme. In den vergangenen Jahrzehnten sind in Frankreich, Italien und Deutschland eine ansehnliche Zahl von historisch-kritischen Studien zur Denkmalgeschichte erschienen: zu den Reiterdenkmälern und ihren sich wandelnden Formen etwa, zum steinernen Toten- und Heldenkult nach dem Ersten Weltkrieg, aber auch zur Sprache der Denkmäler im Gründungsmythos des italienischen Nationalstaates und dem «Fascismo di pietra» (Emilio Gentile). Von diesem Boom erfasst wurde auch die Schweiz. Inzwischen liegen auch für unser Land eine ganze Reihe von Untersuchungen zu einzelnen Nationaldenkmälern, nationalen Repräsentationsfiguren und Denkmalskandalen vor. Was bislang fehlte, war eine solide Gesamtdarstellung der schweizerischen Denkmaltopographie seit 1700. Diese legt nun der Basler Historiker Georg Kreis vor, der sich in seiner mittlerweile langen Forscherkarriere immer wieder mit Themen der politischen Kulturgeschichte der Schweiz beschäftigt hat. So hat er unter anderem Monografien über die nationale Repräsentationsfigur «Helvetia» und den 1. August als Nationalfeiertag (1991) sowie das Rütli (2004) vorgelegt. Im deutschsprachigen Raum gehört er damit zu den Pionieren dieses Forschungsfeldes.

Der neue, über 500 Seiten zählende Band bietet eine Summa von Georg Kreis’ jahrzehntelanger Beschäftigung mit der Denkmalgeschichte. Das Buch breitet denn auch eine imposante Materialfülle aus und gleicht schon in seinem auf möglichste Vollständigkeit zielenden Anspruch einem Handbuch. In der mit zahlreichen Illustrationen versehenen, überaus kenntnisreichen Synthese schreitet Kreis zeitlich einen weiten Parcours ab: angefangen bei den alteidgenössischen Brunnenfiguren und den spätaufklärerischen Verdienstdenkmälern über den Luzerner Löwen und die nach 1848 in bedeutender Zahl entstandenen Monumente, die an Schlachten, Nationalhelden und sonstige «grosse Männer» erinnern, bis hin zu den erst in jüngster Zeit gesetzten Gegendenkmälern für die Schweizer Spanienfreiwilligen, die von der Geschichte vergessenen Frauen und die Opfer des Holocaust. Tatsächlich werden die jeweiligen Entstehungsanlässe, Auswahlverfahren, Standortdebatten und Einweihungsfeierlichkeiten Dutzender von Denkmälern minutiös aufgearbeitet, auch von solchen, von deren Existenz bislang nur Experten wussten. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem 19. Und 20. Jahrhundert, präziser auf dem nationalen Zeitalter zwischen 1860 und 1960, in dem auch die Schweiz von einem eigentlichen Denkmalfieber erfasst wurde. Dass die Denkmallandschaft der Romandie und des Tessins konsequent in die Betrachtung miteinbezogen wird, gehört zu den Vorzügen des Werks.

Der Autor begnügt sich nicht mit einer blossen Auflistung und Beschreibung von Monumenten. Konsequent versucht er, die untersuchten Denkmäler auch unter systematischen Gesichtspunkten einzuordnen. So unterscheidet er zwischen exemplarischen Hauptdenkmälern (etwa dem Stanser Winkelried-Denkmal und dem Reformationsdenkmal in Genf), Instituts-, Kriegs- und Personendenkmälern sowie randständigen Denkmälern (zum Blutgericht in Greifensee, dem Bauernkrieg und zu den Bürgerkriegen beispielsweise). Die vorgeschlagene Systematik vermag nicht auf der ganzen Linie zu überzeugen und wirft Fragen auf, auf die man im Band nicht immer klare Antworten findet. So bleibt ungeklärt, was ein Hauptdenkmal denn eigentlich zu einem Hauptdenkmal macht. Die Besucherfrequenz? Die touristische Anziehungskraft? Der Bekanntheitsgrad? Oder die dem Erinnerungsobjekt in der Entstehungszeit zugesprochene Bedeutung? Wenig präzise ist überdies die Bezeichnung «Institutsdenkmal», worunter Kreis Monumente fasst, «die eine Gründung, einen Vertragsabschluss oder eine Einrichtung beziehungsweise eine Organisation zum Gedenkinhalt haben» (S. 200). Und vielleicht liessen sich die randständigen Denkmäler besser unter gegenkulturellen Monumenten fassen. Die ungeheure Fülle des aufbereiteten Materials bezeichnet Stärke und Schwäche des Werks, das seines Umfangs und der individualisierenden Herangehensweise wegen vermutlich nur wenige Leser und Leserinnen von der ersten bis zur letzten Seite durcharbeiten dürften. Ein Orts- und ein Personenregister begünstigen das schnelle Nachschlagen. Im Dschungel der Details treten die grossen Linien mitunter zurück – trotz des Kapitels «Querschnittfragen» (S. 112–198), das man sich leicht auch als konzeptionelle Einleitung hätte vorstellen können. Am spannendsten ist das Buch stets dort, wo es über die einzelnen Denkmäler hinaus zu gesellschaftsrelevanten Aussagen gelangt. «Der öffentliche Raum ist, was Dauerinstallationen betrifft, in der Regel herrschaftlich okkupiert», hält Kreis zu Recht fest. «Das heisst: Nur Geltendes darf öffentlichen Raum beanspruchen. Und was den Status von Geltendem hat, das bestimmen eben die Herrschenden: in Monarchien die Monarchen, in Republiken die Bürger, heute die Kräfte, die die politischen Mehrheiten haben» (S. 122). Kurz, die Denkmäler des nationalen Zeitalterswaren als «Zeichen der Herrschaft und herrschender Ideale» (S. 127) für das grosse nicht-lesende Publikum und in modernen Massendemokratien stets wichtiger werdenden Bürger gedacht. Zuerst entstanden sie in Städten durch bürgerliche Kreise und waren Symbol der Nationalkultur und ihrer bürgerlichen Werte. Und früh schon spielten für ihre Errichtung auch touristische Interessen eine Rolle, kann man einige Hauptergebnisse der Studie zusammenfassen.

Mit seinem jüngsten Buch legt Georg Kreis eine solide, manchmal etwas allzu detailverliebte Gesamtdarstellung vor, die das Zeug zum Standardwerk hat. Auf der vom Basler Historiker gelegten Grundlage werden zahlreiche neue wichtige Forschungsfragen sichtbar. Was für Denkmaltypen dominierten in welchem Zeitabschnitt? Was unterscheidet die schweizerische Denkmaltopographie im 19. Und 20. Jahrhundert von der der benachbarten Länder? Sind transnational wirkende Muster und Konjunkturen erkennbar? Oder existiert eine spezifisch schweizerische Denkmalsprache? Wer genau hat die Macht über den öffentlichen Raum in den Städten und grösseren Orten? Gibt es hierzulande so etwas wie non-lieux de mémoires und wie verhalten sich diese zu dem, was als erinnerungswürdig gilt? Wie ist es zu erklären, dass der im frühen Bundesstaat einsetzende Denkmalboom gegen Ende des Kalten Krieges immer stärker abebbte? Oder hat das Denkmalwürdige seither einfach nur andere mediale Ausdrucksformen gefunden? Georg Kreis’ verdienstvolle Synthese wird mit Sicherheit zu weiteren Untersuchungen im Bereich der politischen Kulturgeschichte anregen, vielleicht sogar zu einer Gesamtdarstellung der schweizerischen «lieux de mémoire», wofür heute eigentlich genügend Vorarbeiten und konzeptionelle Überlegungen bestünden. Anders als für Frankreich, Deutschland und Italien existiert für die Schweiz bekanntlich noch kein solches Werk.

Zitierweise:
Aram Mattioli: Rezension zu: Georg Kreis: Zeitzeichen für die Ewigkeit. 300 Jahre schweizerische Denkmaltopografie. Zürich, NZZ libro, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 4, 2008, S. 480-482.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 4, 2008, S. 480-482.

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